Die Canon EOS RP wurde seit ihrem Erscheinen als preiswerteste spiegellose Vollformat-Kamera gehandelt. Der Preis für das Kit mit dem Standard-Zoom 24-105 hat jetzt die 1000-Euro-Grenze erreicht. Damit liegt sie unter vergleichbaren DSLRs und nur wenig (wenn überhaupt) über aktuellen Modellen der EOS M Reihe. Lohnt sich ein Wechsel der Besitzer dieser Canon-Modelle zum Vollformat? Meine Erfahrungen mit den Stärken und Schwächen nach den ersten Wochen.
Wer die derzeit preiswerteste spiegellose Vollformat-Kamera kauft, der muss Kompromisse eingehen. Aber das müssen die Käufer wesentlich teurer Modelle ja auch. Für mich war die Frage, mit welchen der Schwächen ich in den Bereichen Foto und Video gut leben kann, wo Nachbesserungen nötig sind, was man von vorneherein beim Kauf einplanen sollte. Und welche positiven Eigenschaften Canon-Nutzer oder Umsteiger einen Gewinn bringen.
Dies ist keine Review, die technischen Details sind seit Erscheinen der Kamera ausführlich erörtert worden. Hier geht es nur um meine Erfahrungen.
Canon EOS RP für Fotos
Das war für mich der Hauptzweck der Anschaffung. Ich wollte das Vollformat in erster Linie für Fotografie nutzen. Die Kamera ist verglichen mit meiner kompakten Canon EOS M6 nicht wesentlich größer und schwerer – wenn man nur die Gehäuse vergleicht. Das bei diesem Preisgefüge fast unverzichtbare Standardzoom Canon RF 24-105mm F5.6-7.1 ist dagegen schon ein kleines Schwergewicht. Dennoch bleibt die Kamera kompakt. Nochmal besser wird, wenn man für ein schönes Bokeh das einzig wirklich preisgünstige RF-Objektiv nutzt, das Canon EOS RF 50mm F1.8.
Sie liegt bei mir gut in der Hand, ich habe allerdings auch keine sehr großen Hände. Die Bedienelemente sind nicht nur für Canon-Nutzer schnell vertraut. Ähnlich ist es mit dem Menü. Wer bislang eine Canon besaß, der findet sich auf Anhieb hier zurecht. Ein paar verwirrende Dinge gibt es allerdings. Zum Beispiel, dass mit dem eigentlichen Fokusring nach Umschalten auch andere Funktionen bedient werden können. Dort kann man jetzt den ISO-Wert einstellen, den Weißlichtabgleich, Belichtungskorrektur etc.
Diese Verlagerung von Einstellungen an einen neuen Ort ergibt in meinen Augen vor allem dann Sinn, wenn man das während der Aufnahme ändern möchte, ohne die Kamera vom Auge zu nehmen. Für mich ist das beim Fotografieren wenig sinnvoll. Ich lege das vorher fest.
Zur Bildqualität: Da gibt es zahlreiche Test und Rezensionen von anderen. Von meiner Seite nur so viel. Ich habe in Lightroom bei Fotos gegenüber meiner Canon EOS M6 nur wenig Unterschiede erkannt. Dagegen finde ich die Qualität des HD-Video aus der Canon EOS RP im Vergleich zu 4K-Videos aus anderen Kameras verblüffend gut.
Schnellere Einstellungen
Ebenfalls neu ist der Modus FV, die eierlegende Wollmilchsau unter den Programm-Automatiken. Kurz gesagt regelt man mit zwei Einstellrädern an der rechten Hand fließend zwischen Blendenautomatik, Zeitautomatik und ISO-Einstellung am hinteren Einstellrad (Daumen) und den zugehörigen Werten am vorderen Einstellrad (Zeigefinger). Das geht nach kurzer Eingewöhnung erstaunlich flott von der Hand.
Wer dann noch die oben erwähnte Funktion des Kontrollrings mit der Belichtungskorrektur belegt, der findet sich in relativ kurzer Zeit fast blind zurecht.
Gewöhnungsbedürftig ist die Möglichkeit, mit dem Kontrollring am Objektiv wie gewohnt zu fokussieren. Da die elektronischen Objektive keinen linearen Verstellweg haben wie manuelle / analoge Objektive, muss man hier eine Routine entwickeln. Noch bei der EOS M6 war es so, dass man per Tastendruck auf manuellen Fokus umschalten konnte. Damit erhielt man eine gleichmäßige Verstellung am Objektiv.
Bei der Canon EOS RP muss man zum Umschalten auf manuellen Fokus erst einmal ins Menü, das ist schon einen Tick aufwendiger. Und die Verstellung am Fokusring passt sich der Dreh-Geschwindikeit (!) an. Mit einer schnelle Drehbewegung bewältigt man auf gleichem Verstellweg eine wesentlich größere Strecke. Für die Feineinstellung muss man dann wesentlich langsamer drehen und erhält so eine feiner abgestufte Fokusbewegung. Dazu kommt ein unüberhörbares Fokusgeräusch der Verstellmotoren, dass es so bei der EOS M6 nicht gibt.
Videos mit / ohne 4K
Beim Bedienkonzept für Videoaufnahmen sind die Unterschiede zum Fotobereich nahezu unerheblich, finde ich. Die entscheidende Frage für mich war und ist, ob ich den Cropfaktor von 1,6 in Kauf nahmen, um die höhere Auflösung mit 4K zu nutzen. Kurz gesagt bevorzuge ich an der EOS RP bislang die normale HD-Aufnahme anstelle von 4K.
Ein Grund dafür sind viele Innenaufnahmen. Hier sind sowohl bei 24mm, der Weitwinkeleinstellung des Zooms, und erst recht beim 50mm F1.8 die Abstände an meinen Aufnahmeorten zu gering. Das 24mm wird mit Crop bei 4K zu fast 40 mm Brennweite. Wechsle ich hier zum 50mm F1.8 bei HD, erhalte ich bei annähernd gleichem Bildwinkel ein schönes Bokeh und einen Freistelleffekt.
Das Dilemma ist also das gleiche, wie bei der EOS M6. Wer auf das Bokeh nicht verzichten will, der braucht relativ teure, lichtstarke Weitwinkelobjektive. Und weil ich einen großen Teil meiner Videos in 4K mit der Panasonic Lumix G81 mache, investiere ich nicht in die teuren Canon Linsen mit großer Blendenöffnung und kurzer Brennweite.
Dass zum Beispiel der Dual Autofokus bei 4K fehlt, wäre für mich kein allzu großer Verlust. Ich filme vor allem mit Stativ, eine manuelle Entfernungseinstellung ist – vor allem auch dank Fokus-Peaking und Lupe – kein Problem für mich.
Plus und Minus
Auch wenn ich es vorher wusste: Die kurzlebigen Akkus sind ein Ärgernis. Derzeit verwende ich für EOS M6 und EOS RP die gleichen Akkus, LP E17. Die sind mit rund 50 € relativ teuer, und vier Akkus für zwei Kamera sind das Minimum. Akkus von Fremdherstellern erlauben keinen Kapazitätsanzeige. Für Fotos akzeptabel, da läuft mir das Motiv nicht weg. Für Videos unmöglich. Immerhin ist die Möglichkeit zum Aufladen über den USB-C Anschluss eine kleine Hilfe für unterwegs.
Fremdhersteller könnten auch in die Bresche springen, wenn Canon auch auf Dauer keine erschwinglichen Objektive für die R-Reihe auf den Markt bringt. Das geschieht aber bislang noch nicht. Der Umweg über einen Objektiv-Adapter und EF-Objektive (gebraucht oder auch von Fremdherstellern) scheint mir aber akzeptabel.
Dafür gibt es ein paar kleinere Highlights für Videos: Der Aufnahmeknopf für Videos ist leicht ertasten und nicht versenkt, eine große Erleichterung. Der manuelle Video-Modus kann in Verbindung mit automatischer ISO-Einstellung genutzt werden. Diese ‘Halbautomatik’ ergibt ein paar mehr Freiheiten. Und auch der Kopfhöreranschluss ist für Videoaufnahmen ist nicht selbstverständlich in dieser Preisklasse und eine echte Erleichterung.
Der Autofokus mit Gesichtserkennung ist so gut, wie es berichtet wird. Und der Flip-Out-Screen ist überaus hilfreich. Und die App ist gegenüber der Lösung für meine Canon EOS M6 eine nahezu grandiose Verbesserung (und jetzt so gut wie die App für meine Lumix G81).